Ein oft missverstandener Begriff
Vielfach ist zu hören, eine bestimmte Übertragung sei in vorweggenommener Erbfolge erfolgt oder <br>„mit warmer Hand“, wie man hier gern sagt. Statt einer Erbfolge gibt es eine Schenkung unter Lebenden. In der Regel verbinden die Beteiligten, jedenfalls auf der Übergeberseite, damit die Vorstellung, dass sich die Übertragung ganz von selbst in die sonstige Erbfolge eingliedere, also Berücksichtigung findet, wenn der Erbfall eintritt. Es sei ja, so die Annahme, im Vertrag ausdrücklich davon die Rede, dass die Übergabe die Erbfolge vorwegnehme.
Ein Beispiel: Ein Ehepaar stellt sich vor, dass eines ihrer drei Kinder zu einem späteren Zeitpunkt einmal das Hausgrundstück übernimmt, in welchem die Eheleute leben. Die Übertragung erfolgt noch zu Lebzeiten der Eltern. Im Vertrag findet sich der Hinweis, die Übertragung erfolge „in vorweggenommener Erbfolge“. Jahre später sterben dann nacheinander beide Eltern und hinterlassen ein restliches Vermögen, welches im Wert ungefähr dem übertragenen Hausgrundstück entspricht. Ein Testament gibt es nicht. Zwischen den Kindern beginnen alsbald die Meinungsverschiedenheiten. Die Kinder, die noch nichts erhalten haben, stellen sich vor, dass sie sich den Nachlass teilen und dass das Geschwisterteil, welches das Haus erhalten hat, obendrein einen Ausgleich für die Besserstellung bezahlt. Das, so denken sie, müsse mit der Formulierung „in vorweggenommener Erbfolge“ gemeint sein. Das Kind, welches die Immobilie erhalten hat, argumentiert, es habe für die Eltern weit mehr getan als die Geschwister. Ein Ausgleich an die Geschwister möchte es daher nicht zahlen, im Gegenteil: Es stellt sich vor, dass das Restvermögen auch noch zwischen allen Geschwistern gleich verteilt wird. Welche Vorstellung die Eltern gehabt haben, lässt sich nicht mehr klären.
Die Rechtslage allerdings ist im vorliegenden Fall überraschend: Die Übertragung „in vorweggenommener Erbfolge“ ist nämlich rechtlich nichts anderes als eine ganz gewöhnliche Schenkung, die lediglich mit einem zusätzlichen Motiv versehen wurde. Eine Auswirkung auf die Verteilung des elterlichen Nachlasses hat sie grundsätzlich nicht. Es gibt zwar Ausnahmefälle, in denen eine frühere Schenkung bei einer späteren Erbteilung berücksichtigt wird, doch liegen die Voraussetzungen in der Praxis nur äußerst selten vor. Es setzt sich also hier das zuvor beschenkte Kind durch. Es erhält nochmals einen Anteil am elterlichen Restvermögen in der Größe, die seinem regulären Erbteil entspricht.
Das Fazit lautet: Wer eine vorweggenommene Erbfolge im eigentlichen Sinne vornehmen möchte, sollte in dem entsprechenden Vertrag ganz genau regeln, wie genau sich die Übertragung auf die Erbfolge auswirken soll.